von Angelika Herms
Wir werden belohnt, wenn wir Dinge, die uns blockieren, mal aus einer anderen Perspektive betrachten. Ein Umdeuten zeigt oft Problemlösungen auf und lässt sich leicht trainieren.
Das Leben ist schön! Und oft auch ganz schön kompliziert. Der Kollege zum Beispiel, der morgens das Büro betritt. Der erste Gedanke: Habe ich was falsch gemacht? Oder: wie ist der denn heute drauf!? Schon ist man mittendrin im Stress. Dabei könnte man auch durchatmen und überlegen: Hat er Ärger mit einem Kunden? Oder Kopfschmerzen? Wenn man sein Verhalten so betrachtet, sieht die Sache schon ganz anders aus.
Im systemischen Coaching nennt man das „Reframing“, was so viel bedeutet wie einer Sache bzw. Situation einen neuen Rahmen geben. Umdeuten kann jeder, immer und überall. Dazu braucht es nur etwas Übung und Bereitschaft. Dann kann uns Reframing im Alltag helfen, günstigere Entscheidungen zu treffen, bessere Beziehungen zu führen und uns wohler zu fühlen. Das Grundprinzip ist ganz einfach: Gedanklich einen Schritt zurücktreten und nochmal neu auf das Ganze zu blicken. Wie könnte man die Sache noch sehen? Wozu könnte es vielleicht gut sein, dass es so gekommen ist?
Die Psychologen Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer vergleichen diese Strategie mit einem einfachen Prinzip: „Stroh zu Gold spinnen“. Durch eine andere Sichtweise wird aus etwas schwierigem etwas Einfaches, aus etwas Verstricktem etwas Konstruktives, aus etwas Tragischem oft sogar etwas Komisches.
Beim Reframing entsteht ein vollständigeres Bild. Ein Perspektivwechsel ist schon eine Herausforderung, bringt aber im Alltag bereits sehr viel. Einfach den ersten Gedanken, der uns durch den Kopf geht noch einmal in Frage stellen. Ist es wirklich so? Oder doch anders? Dieses Innehalten schafft Raum zwischen Reiz und Reaktion. Es verhindert eine Stresssituation und führt zum „besser Verstehen“, zum Lernen und somit zum eigenen Wachstum und Zufriedenheit. Wir haben stets die Möglichkeit, Fakten und Ereignisse in eine für uns konstruktiveren Rahmen zu stellen.
Nach einem vermasselten Bewerbungsgespräch kann ich mir beispielweise sagen: „Das war keine Glanzleistung“. Das ist der Fakt. Die Umdeutung könnte lauten: „diese Erfahrung ist hilfreich für das nächste Gespräch.“ Sie dient zu einer besseren Vorbereitung. Wer ein gescheitertes Vorstellungsgespräch als Learning betrachtet, wird bei der nächsten Gelegenheit anders auftreten als jemand, der es ausschließlich als Misserfolg deutet. Im Reframing löst man sich aus dem Defizit und richtet den Blick auf Chancen und Möglichkeiten.
Wer es sich zur Gewohnheit macht, Erlebtes zu hinterfragen, wird automatisch differenzierter in seinen Bewertungen, flexibler und facettenreicher in Reaktionen und Handlungen. Möglicherweise nimmt man auch Abschiede von einer vertrauten Opferrolle. Wer etwa zur Einsicht kommt, dass eine Trennung zwar wahnsinnig traurig ist, sich aber dadurch auch neue Möglichkeiten ergeben, übernimmt wieder Verantwortung für das eigene Leben, für eigene Gefühle und Gedanken. Wir haben die Wahl wie wir etwas einordnen, welchen Aspekt eines Problems wir beleuchten und was wir vorbeiziehen lassen. Reframing ist weniger eine Technik, als eine Haltung dem Leben gegenüber. Es ist die Bereitschaft die eigene Sicht zu hinterfragen. Das Bewusstsein, dass wir unsere Geschichte zum größten Teil selbst kreieren. Diese Wahrnehmung macht das Leben nicht weniger kompliziert, aber den Umgang damit leichter.